Berlin – Riesengebirge / Geschichte einer Raumpartnerschaft

Berlin – Riesengebirge / Geschichte einer Raumpartnerschaft

Organisatoren
Institut für Berufliche Bildung und Arbeitslehre, Technische Universität Berlin; Förderkreis Historisches Archiv des Tourismus an der Technischen Universität Berlin; Lokale Tourismusorganisation LOT Schreiberhau / Szklarska Poręba; Institut für Geschichte der Medizin, Charité Universitätsmedizin Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
07.12.2018 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Andreas Jüttemann / Paola Gozzi, Institut für Geschichte der Medizin, Charité Universitätsmedizin Berlin

Das Riesengebirge (polnisch „Karkonosze“) gehörte bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs als Teil Niederschlesiens zum Deutschen Reichs. Die Region war bei den Berlinern sehr beliebt, doch nach 1945 brachen viele touristische Verbindungen ab. Erst in jüngster Zeit wurde das Riesengebirge von ihnen wieder als Reiseziel entdeckt. Das war der Anlass zur Planung einer Tagung auf der gemeinsam mit deutschen und polnischen Akteuren aus Wissenschaft, Kultur und Tourismuswirtschaft diskutiert wurde, wie die einst enge Raumbeziehung zwischen beiden Regionen wiederhergestellt und verbessert werden könnte: infrastrukturell, wirtschaftlich und kulturell.

HASSO SPODE (Berlin) stellte in seinem einführenden Vortrag einleitend die Frage: „Was ist Tourismus?“. Er hob hervor, dass die Reise als Selbstzweck erst im 18. Jahrhundert entdeckt wurde und zwar im Rahmen einer Neubewertung sowohl der Natur als auch der historischen Bedeutsamkeit von kulturellen Einrichtungen. Eine Voraussetzung für den Tourismus war die Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse für einen Großteil der Bevölkerung. Spode sprach von einer neu aufgekommenen, romantisierenden Alpenbegeisterung. Das aufstrebende Bürgertum und der Ausbau des Bahnnetzes ließen für viele Berliner die Gewohnheit entstehen, einen jährlichen Urlaub an der See oder im Gebirge zu verbringen. Zunächst war der Harz sehr attraktiv, unter anderem auch deshalb, weil es sich um einen nationalpolitischen Erinnerungsort handelte. Daraufhin folgte die touristische Erschließung des Riesengebirges, etwa durch neu angelegte Wanderwege. Auch viele mythenbildende, volkstümliche Erzählungen bezogen sich auf das Riesengebirge.

MATEUSZ HARTWICH (Berlin) sprach über die Identitätsfindung im Riesengebirge nach der Grenzziehung 1945. Es kam zu einem systematischen Ausbau auf der Grundlage eines sozialistischen Gesellschaftsprogramms. Inzwischen waren die Ortsnamen polonisiert worden, die deutschen Bezeichnungen durften nicht einmal erwähnt werden.

PIOTR ZARZYCKI (Wrocław) berichtete über eine Untersuchung zum aktuellen touristischen Potential von Berghütten in der Riesengebirgsregion. Erforscht wurden folgende Faktoren: gastronomisches Angebot, naturräumliche Umgebung, atmosphärische Wirkung, Hilfsangebote für Notfälle und sanitäre Zustände. Übereinstimmend ergab sich, dass in erster Linie Studierende die Hütten nutzten.

ANDREAS JÜTTEMANN (Berlin) stellte das Riesengebirge als eine bevorzugte Region für die Behandlung von Lungenkrankheiten in Preußen dar. Hier entstand sogar ein neuer theoretischer therapeutischer Ansatz. Der deutsche Arzt Hermann Brehmer gründete im schlesischen Görbersdorf (heute Sokolowsko) die erste Lungenheilstätte. Ein besonderer Vorzug der Einrichtung war die Nähe zu Berlin: Eine Kur wurde nun auch für Kranke aus mittleren Schichten erschwinglich.

MORITZ FILTER (Frankfurt an der Oder) behandelte in seinem Referat die Verkehrsanbindung zwischen Berlin und dem Riesengebirge. Das Riesengebirge war bis 1945 für Berliner als relativ gut erreichbares Ziel attraktiv. Mit der Systemwende 1989 erlebte das Riesengebirge als Urlaubsregion einen neuen Aufschwung. Eine Wiederherstellung der Vorkriegssituation konnte allerdings bisher noch nicht erreicht werden.

PRZEMYSŁAW WIATER (Erkner) präsentierte abschließend einige Persönlichkeiten, die sich in Schreiberhau kreativ und künstlerisch betätigten, darunter Carl und Gerhart Hauptmann, Wilhelm Bölsche und Hermann von Hendrich. Schreiberhau sei im 19. Jahrhundert so zu einem „schlesischen Worpswede“ geworden.

Der Abwechslungsreichtum der Beiträge zeugte von dem aufregenden Landschaftsangebot und der kulturellen Vielfalt, die das Riesengebirge bietet. Zugleich war das Zusammentreffen auch eine Gelegenheit, um den allgemeinen Missstand hervorzuheben, dass eine Reise von Berlin ins Riesengebirge heute sehr mühsam und langwierig ist: Es herrschte auf beiden Seiten großes Interesse an einer Förderung der verbindenden Infrastrukturen und einer daraus resultierenden Aufwertung der Region. Damit soll die Raumpartnerschaft zu Berlin – wie sie schon einmal bis 1945 bestand – neu entwickelt werden.

Konferenzübersicht:

Hasso Spode (Historisches Archiv zum Tourismus, Berlin): Die Entdeckung der Mittelgebirge

Mateusz Hartwich (IHK Berlin): Tourismus und Identität im Riesengebirge nach 1945

Wojciech Wiesner (AWF Wrocław): Historischer oder sentimentaler Tourismus – eine Fallstudie

Piotr Zarzycki (AWF Wrocław): Berghütten im Riesengebirge und ihr touristisches Potential

Andreas Jüttemann (Charité Universitätsmedizin Berlin): Sanatorien im Riesengebirge

Moritz Filter (Europa-Universität Viadrina, Frankfurt an der Order): Geschichte und Perspektiven der Verkehrsverbindungen zwischen Berlin und dem Riesengebirge

Konrad Giejsztor (IRT Wrocław): Verkehrsverbindungen Berlin – Riesengebirge im deutsch-polnischen Verflechtungsraum

Przemysław Wiater (Gerhart-Hauptmann-Museum, Erkner): Berlin-Szklarska Poręba – Kreativ und künstlerisch